Das Jahr 2016 hatte es in sich. Es war für mich ein Jahr mit vielen Höhen und einigen Tiefen. Ich hatte das Glück viele interessante Menschen kennenzulernen und musste mich leider von einem guten Freund verabschieden.
Die traditionelle Luxemburg-Liebknecht Demonstration war für mich der Start ins Jahr. Bei ihr versammeln sich jeden Januar viele Tausend Menschen, um den beiden ermordeten Sozialisten Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht zu gedenken. Ich begleitete die Situation der Geflüchteten in Berlin und reiste zu Beginn des Jahres nach Istanbul, wo Jugendliche gegen den Krieg in Kurdistan auf die Straße gingen. Zum 1. Mai begann meine längste Reise des Jahres, wieder in Istanbul mit den Demonstrationen um den ersten Mai.
Von dort ging es weiter nach Amed/ Diyarbakir. Die historische Altstadt Sur war einer der Schwerpunkte des Kriegs, den der türkische Staat gegen die KurdInnen führte. Er stand lange unter Ausgangssperren und ist inzwischen fast vollständig zerstört. Zum Zeitpunkt meines Aufenthalts waren die Kampfhandlungen bereits beendet, große Teile des Stadtteils jedoch weiterhin komplett abgesperrt.
Bei Amed besuchte ich ein selbstverwaltetes Flüchtlingslager, das Shingal-Camp. Nachdem der sogenannte "Islamische Staat" im August 2014 auf Shingal marschierte und die Gefahr eines Genozids an den dort lebenden Yeziden bestand, flohen zehntausende von ihnen zunächst ins angrenzende Shingal-Gebirge.
Nur durch den Eingriff der Guerillatruppen der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) konnte ein Genozid abgewendet und ein humanitärer Korridor geschaffen werden, über den tausende YezidInnen flohen. Fünftausend von ihnen ließen sich im Shingal-Camp nieder, welches mit Hilfe der kurdischen Freiheitsbewegung aufgebaut wurde und nun selbstverwaltet ist.
Von Amed aus ging es weiter in die Autonome Region Kurdistan im Irak.
Dort konnte ich die Frontstellungen der Peschmerga vor Kirkuk besuchen. Kirkuk ist verantwortlich für ein Fünftel der gesamten Ölproduktion des Iraks, dementsprechend begehrt ist es vom sogenannten "Islamischen Staat". Im Juni 2014 floh die irakische Armee aus der Stadt vor den anrückenden Djihadisten, woraufhin die Peschmerga die Kontrolle übernahmen und die Stadt mithilfe der Anti-Is-Koalition und Kämpfern der PKK gegen den IS verteidigten.
Die Stellungen der PKK konnte ich an einem anderen Tag ebenfalls besuchen und war beeindruckt, wie die Guerillakämpfer selbst in der Ödnis vor Kirkuk, bei 45 Grad im Schatten und weit und breit nur Erde und verbranntes Gras, ihre Basis in eine grüne Oase verwandeltet hatten.
Die Guerillakämpfer agieren vor Kirkuk als eine Spezialeinheit und kommen immer dort zur Hilfe, wo sie am dringendsten benötigt wird.
Die Situation in Kirkuk war für mich paradox. Die Peschmerga, die PKK und die Anti-IS-Koaltion unter der Führung der USA, unterhielten Basen auf einer alten Anlage des Saddam-Regimes, koordinierten ihre Aktionen und arbeiteten zusammen, während der NATO-Partner Türkei 300km weiter nördlich täglich Bombenangriffe gegen die PKK in den Kandil-Bergen fliegt.
Das Medya-Verteidigungsgebiete genannte Gebiet im Kandilgebirge ist so etwas wie das Hauptquartier der Arbeiterpartei Kurdistans. Dort konnte ich mit Guerillakämpfern sprechen, einen Guerillafriedhof besuchen und gemeinsam mit einem Kollegen die Ko-Vorsitzende der Union der Gemeinschaften Kurdistans (KCK), Bese Hozat, interviewen. Außerdem sah ich die Ergebnisse der türkischen Bombardements, die nach offiziellen Angaben des türkischen Militärs hunderte Guerilleros getötet haben. In der Realität jedoch treffen die Bomben hauptsächlich die dort lebenden Zivilisten und ihr Vieh. Unser Guide zeigte uns das Dorf Zergelê, dort zerstörte ein Bombenangriff im August drei Häuser und tötete acht Dorfbewohner auf besonders perfide Weise.
Während des ersten Bombardements konnten die meisten Dorfbewohner fliehen, zurück blieb eine alte Frau und wurde verletzt. Als einige Dorfbewohner zurückkamen um die Frau zu retten, drehten die Bomber ebenfalls um und töteten bei einem zweiten Angriff die alte Frau sowie sieben weitere Menschen.
Zurück aus Kandil ging es weiter in das selbstverwaltete Flüchtlingslager Makhmour. Dort leben etwa 12.000 KurdInnen die 1993/94 wegen der Eskalation des Konfliktes in der Türkei geflohen waren und sich im Nordirak niedergelassen hatten. Das Lager ist nach dem Prinzip des Demokratischen Konföderalismus, einem radikaldemokratischen Rätesystem, organisiert.
Nach fast einem Monat in Kurdistan ging mein Weg zurück nach Deutschland und von dort im Juni nach Paris, wo fast eine Million DemonstrantInnen gegen eine geplante Reform des Arbeitsgesetzes demonstrierten und sich stundenlange Straßenschlachten mit der Polizei lieferten. Mein Sommer war danach ruhig und ich konzentrierte mich für den Rest des Jahres mehr auf mein Studium, weshalb meine letzte Reise schon im September war, abermals nach Paris, abermals wegen einer Demonstration gegen die – inzwischen beschlossene – Arbeitsmarktreform.
Für 2017 habe ich bislang nicht viel geplant. Ich werde höchstwahrscheinlich noch einmal nach Kurdistan reisen und ich werde Anfang Juli in Hamburg die Proteste gegen den G20 Gipfel fotografieren. Bis dahin wünsche ich allen einen guten Rutsch ins neue Jahr!